Geb.: 1892 Berlin
Fachgebiet: Allgemeinmedizin
Alija: 1926

Siegfried wurde am 4. Januar 1892 in Berlin als Sohn des Buchhändlers Paul (Pinchas) Lehmann und seiner Frau Emma geboren. Nach der Grundschule besuchte er das Friedrichs-Gymnasium seiner Heimatstadt, an dem er 1913 die Reifeprüfung ablegte. An den Universitäten in Freiburg, Frankfurt/Main und Berlin studierte Ernst Lehmann Medizin, bestand 1919 die ärztliche Staatsprüfung, erhielt seine Approbation und promovierte ein Jahr später über das Thema „Zur Prognose der geistigen Entwicklung bei kindlicher Epilepsie“.

Unter dem Einfluss Martin Bubers wurde Lehmann Zionist und besuchte 1914 erstmals Palästina. Schon während seiner Studienzeit entschloss er sich, mittellosen jüdischen Zuwanderern aus Osteuropa, insbesondere Kindern und Jugendlichen, in Berlin zu helfen. 1916 gründete er im Berliner Stadtteil Spandau das „Jüdische Volksheim“. Hier wurde soziale Betreuung im Geiste des Zionismus angeboten. Neben sozialhygienischen Prinzipien, wie Körperpflege und sportliche Betätigung wurde zudem Eigeninitiative und ein gesunder Lebensstil gefördert. Lehmann erlernte für sein soziales Engagement Jiddisch, um die Jugendlichen besser erreichen zu können.

Nach der Promotion erhielt der junge Arzt 1921 vom Jüdischen Nationalrat Litauens den Auftrag, in Kowno (Litauen) ein Kinderheim aufzubauen, in dem durch den Krieg verstörte und entwurzelte junge Menschen medizinisch, pädagogisch und auf sozialem Gebiet betreut werden sollten. Die Zufluchtsstätte konnte bis zu 200 Kinder „vom ersten Lebensmonat bis zum reiferen Jugendalter“ aufnehmen. „Es scheint so, als ob die Jugend hier nach langen Irrwegen die Form des Zusammenlebens gefunden hätte“, schrieb Lehmann in einem Artikel für die Zeitschrift Der Jude, „in Gruppen konzentriert sich die nach Palästina gerichtete Jugend. Das vorherrschende Berufsideal ist: Bauer oder Handwerker in Palästina auf dem Lande zu werden.“

In Kowno heiratete Lehmann die litauische Ärztin Dr. Rebecca Klawanska, die gemeinsam mit ihm die Kinder des Heims betreute.

1925 fuhr Dr. Lehmann nach Palästina, um die Übersiedlung der Kinder vorzubereiten und ein Jahr später zog die erste Gruppe gemeinsam mit ihm und seiner Frau Rebecca nach Palästina, „um dort im Emek Israel den Boden für eine Kinder- und Jugendsiedlung vorzubereiten – der Jugendkibbuz Ben Schemen südöstlich von Tel Aviv war geboren. Hier kamen später auch die Töchter der Lehmanns, Naomi und Aja, zur Welt.

Ben Schemen 1936: Dr. Siegfried Lehmann (2. Reihe, 8 v. l.) mit Kollegen und Zöglingen

„Vielleicht wird dieses Dorf einmal über den Rahmen einer Waisensiedlung hinauswachsen, die ,pädagogische Provinz‘ des jüdischen Volkes werden, ein Kraftzentrum für ein sich erneuerndes Volk“, schrieb Siegfried Lehmann seinerzeit hoffnungsvoll. Dieser Wunsch ging in Erfüllung: Unter seiner Leitung wurde die „jüdische Kinderrepublik“ ein Zentrum der Jugendalija und ein Vorbild für moderne landwirtschaftliche Erziehung.

Siegfried Lehmann selbst arbeitete in Palästina nicht mehr als Mediziner, die ärztliche Versorgung in Ben Schemen übernahm seine Frau Rebecca.

Im Januar 1940 wurde Dr. Lehmann sowie einige seiner Mitarbeiter unter dem Vorwurf, illegale Waffen zu besitzen, verhaftet. Ein britisches Militärgericht verurteilte Lehmann als „Terrorist“ zu sieben Jahren Haft. Nach internationalen Protesten, u. a. von Albert Einstein, wurde Lehmann jedoch nach drei Wochen wieder freigelassen.

Neben der Arbeit, dem Studium der Thora und der Musik war das friedliche Zusammenleben mit den arabischen Nachbarn stets ein Hauptanliegen Lehmanns. Unter den Schülern in Ben Schemen war auch Israels Staatspräsident und Friedensnobelpreisträger Shimon Peres. Mit Einsetzen der Masseneinwanderung nach der Staatsgründung öffnete Ben Schemen seine Tore auch für Juden aus den arabischen Ländern.

1952 wurde Lehmann für sein Engagement vom UN-Kinderhilfswerk UNICEF ausgezeichnet. 1957 erhielt er den „Israel-Preis“, die höchste Auszeichnung des Staates Israel. Unter seinen zahlreichen pädagogischen Publikationen ist auch ein Werk mit dem Titel „Schoraschim“ (dt.: Wurzeln), in dem er das Problem der Beziehungen zwischen Juden und Arabern im Land aus erzieherischer Sicht behandelte.

Siegfried Lehmann starb im Juni 1958 in Ben Schemen, seine Frau Rebecca ein Jahr nach ihm.

Foto:
Ben Schemen 1936: Dr. Siegfried Lehmann (2. Reihe, 8 v. l.) mit Kollegen und Zöglingen, Repro: nurinst-archiv

Quellen:
Siegfried Lehmann, Von der Straßenhorde zur Gemeinschaft, in: Der Jude, Sonderheft Erziehung 1926.
Siegfried Lehmann, Eine jüdische Kinderrepublik in Palästina. Das Kinder- und Jugenddorf Ben Schemen, in: Palästina, März 1930.
Barbara Schäfer, Berliner Zionistenkreise. Eine vereinsgeschichtliche Studie, Berlin 2003.
Lebenslauf aus der Dissertation, Universität Berlin 1920.
Nissim Levy/Jael Levy, Rofeiha schel Erez-Israel 1799–1948, Haifa 2008 (hebr.).
Tidhar, D. (1949), Entsiklopedyah le-halutse ha-yishuv u-vonav (Vol. 10), http://www.tidhar.tourolib.org/tidhar/view/10/3499.