Die Entrechtung und Vertreibung jüdischer Ärzte aus Deutschland
Zu Beginn des Jahres 1933 verzeichnen die Statistiken, gemäß letzter Volkszählung, etwa elf Prozent aller in Deutschland tätigen Mediziner als jüdische Ärzte. Schon kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten begann ihre Entrechtung: Die Berufsorganisationen wurden gleichgeschaltet, jüdische Funktionäre und Mitglieder aus den Verbänden hinausgeworfen. Der radikale und schnelle Ausschluss fußte nicht zuletzt darauf, dass viele Ärzte schon in der Weimarer Republik mit autoritären und nationalsozialistischen Überzeugungen sympathisierten, wie die bereits 1929 in Nürnberg erfolgte Gründung des Nationalsozialistischen Ärztebunds verdeutlicht, dessen Satzungsziel es war, „das Heilwesen mit nationalsozialistischen Geist zu durchdringen.“ „Man kann heute sagen, dass bei keinem anderen akademischen Beruf die nationalsozialistische Propaganda solchen Erfolg erzielt hat wie bei den Ärzten“, konstatierte daher Julius Moses, Berliner Arzt und ehemaliger
SPD-Reichstagsabgeordneter nicht ohne Resignation. Im Verhältnis zu anderen wissenschaftlich gebildeten Berufsgruppen hatten die Ärzte mit 45 Prozent den höchsten Anteil an NSDAP-Mitgliedern. Ihre Zugehörigkeit zur nationalsozialistischen Terror-Organisation SS (Schutzstaffel) lag bei rund neun Prozent. Die einzige Berufsgruppe die in der SS noch stärker überrepräsentiert war als die Mediziner, waren die Juristen.
Mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 verloren alle „nichtarischen“ Ärzte ihre Anstellungen im öffentlichen Gesundheitswesen, wie Universitäten, Krankenhäuser oder Verwaltung. Nur wenig später wurde den jüdischen Ärzten ihre Zulassung zur Kassenärztlichen Vereinigung entzogen; somit konnten sie nur noch Privatpatienten behandeln. Dann ging es Schlag auf Schlag: Im Juli 1933 trat ein Verbot in Kraft, demgemäß deutschstämmige und „fremdrassige“ Ärzte nicht zusammenarbeiten durften. Damit waren Überweisungen an „arische“ Kollegen sowie Praxisgemeinschaften zwischen jüdischen und nichtjüdischen Medizinern untersagt. Ein Erlass vom Januar 1934 verfügte, dass die Verleihung der Doktorwürde an „Nichtarier“ nur noch im Einzelfall erteilt würde. Im Jahr der Verkündung der Nürnberger Rassegesetze war die Zulassung zur Facharztprüfung und die Approbation mit der Vorlage eines „Ariernachweises“ verbunden. 1936 erging ein Erlass, der es Beamten nicht gestattete, sich von jüdischen Ärzten behandeln zu lassen. Ab 1937 durften Juden keinen Doktortitel mehr erwerben.
Mit dem allgemeinen Approbationsentzug erfolgte im September 1938 das totale Berufsverbot für jüdische Ärzte, nur wenige durften als „jüdische Krankenbehandler“ weiterarbeiten. Diese existenzvernichtende Maßnahme führte zu einer letzten großen Auswanderungswelle. Bevor sich die jüdischen Mediziner aber ins Ausland retten konnten, wurden sie noch bis aufs Hemd ausgeplündert: Erst wenn die „Reichsfluchtsteuer“, etwa ein Viertel des Vermögens, die Judenvermögensabgabe und die Zwangsabgabe an die Deutsche Golddiskontbank (Dego-Abgabe) erfolgt war, wurde dem Emigranten erlaubt, Deutschland nahezu mittellos zu verlassen.
Für zahlreiche der deutsch-jüdischen Ärzte war es schwer, in ihrer neuen Heimat wieder praktizieren zu können. Ohne die Vorlage einer gültigen Approbation waren sie nicht in der Lage, ihre Qualifikation als Mediziner zu belegen. Zudem erkannten viele Länder ihre Ausbildung nicht oder nur teilweise an. Die britischen Behörden in Palästina erteilten die Lizenz, wenn ein mindestens fünfjähriges Studium an einer anerkannten Hochschule, ein medizinisches Diplom oder ein Doktortitel nachgewiesen werden konnte. Ab dem 1. Dezember 1935 erhielten nur noch Mediziner mit Bürgerrechten, d. h. die vor dem Stichtag einen festen Wohnsitz in Palästina hatten, eine ärztliche Zulassung.
Weit über 8.000 jüdische Ärzte wurden zwischen 1933 und 1945 verfolgt, dem größten Teil gelang die Flucht. Neben den USA war Palästina das zweitwichtigste Emigrationsziel. Schon in den ersten zwei Jahren nach der Machtergreifung Hitlers verließen rund 600 Ärzte Deutschland in Richtung Erez Israel. Etwa 2.000 Mediziner hatten keine Möglichkeit mehr das Land zu verlassen, sie fielen dem Rassenwahn der Deutschen zum Opfer und wurden ermordet.
Quellen:
Götz Aly u. a. (Hg.), Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933 – 1945. Bd. 1, Deutsches Reich 1933 – 1937, München 2008.
Wolfgang Benz u. a. (Hg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 1998.
Israel Gutman (Hg.), Enzyklopädie des Holocaust, Bd. 1–3, Berlin 1993.
Michael H. Kater, Ärzte als Hitlers Helfer, Hamburg 2000.
Gerda Luft, Heimkehr ins Unbekannte, Wuppertal 1977.
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