Das Gesundheitswesen in Erez Israel

Anfang des 19. Jahrhunderts praktizierten in Erez Israel ausschließlich Volksärzte und Heiler. Gleichzeitig war moderne medizinische Versorgung dringend nötig. Die hygienischen Bedingungen waren vor allem in den Städten schlecht. Epidemische Krankheiten wie Diphterie und Typhus, aber auch Malaria oder die Augenerkrankung Trachom waren verbreitet.

Das Gesundheitswesen entwickelte sich infolge der Missionstätigkeiten der christlichen Kirchen. Vorreiter war hierbei die anglikanische Kirche, die 1838 einen nach westlichem Standard ausgebildeten Arzt nach Palästina entsandte, der das erste Krankenhaus in Jerusalem eröffnete. Bald folgten jüdische Einrichtungen, wie etwa das Rothschild Krankenhaus, Bikur Cholim, Misgav Ladach und das Schaarej Zedek Krankenhaus, das von dem in Köln geborenen Allgemeinarzt Moritz Mosche Wallach gegründet wurde und später zahlreiche Ärzte aus Deutschland beschäftigte.

Noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts gab es kein umfassendes System der Krankenversorgung. 1909 sind lediglich 27 jüdische Ärzte im Land nachweisbar, die vor allem aus Russland und Polen stammten. Mit der Gründung des Gewerkschaftsverbandes Histadrut schlossen sich 1920 kleinere Verbände zur Allgemeinen Krankenkasse, Kupat Cholim Clalit, zusammen. Daneben war vor allem die Hadassah Medical Organisation am Aufbau des Gesundheitswesens beteiligt, wobei hier der Schwerpunkt auf vorbeugender Gesundheitspflege lag. Hadassah gründete zahlreiche Praxen und Säuglingsstationen, sowie mehrere Krankenhäuser, die an die Stadtverwaltungen, wie etwa in Tel Aviv und Haifa, übergeben wurden. In Jerusalem übernahm Hadassah das Rothschild Krankenhaus und baute es zum ersten universitären Lehr-Krankenhaus aus.

Bereits vor dem Aufstieg der Nationalsozialisten wurden vereinzelt jüdische Ärzte aus Deutschland wegen ihres Fachwissens für leitende Stellungen nach Palästina geholt. Vor 1933 waren deutsche Ärzte jedoch eine Seltenheit, wenn auch gut ein Drittel der praktizierenden Ärzte, 1928 waren es knapp 400, an einer deutschen Universität studiert hatte.

Die große Veränderung trat mit der Einwanderung der deutschsprachigen Juden aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei, der Jeckes, ein. Im Zuge der fünften Alija, also zwischen 1929 und 1945, kamen gut 200.000 Juden ins Land, unter ihnen etwa 60.000 Jeckes. Im Gegensatz zu ihren Vorgängern siedelten sich diese Einwanderer vor allem in Städten an. Sie waren im Durchschnitt älter, verheiratet, verfügten über viel berufliche Erfahrung und zählten zum bürgerlichen Mittelstand. Mit dieser Einwanderungswelle kamen auch hunderte Ärzte aus deutschsprachigen Ländern nach Erez Israel.


Deutsche Juden auf dem Weg nach Erez Israel: Auf der Vulcania, 1933 von Neapel nach Haifa, und auf der Gerusalemme, 1938 von Triest nach Jaffa, © nurinst

Im Herbst 1935 stieg die Immigration auf ein Rekordhoch, nachdem die britische Mandatsregierung ein Gesetz zur Restriktion der Zulassung von Ärzten angekündigt hatte und in Deutschland die Nürnberger Gesetze verabschiedet wurden. Alleine im Oktober und November 1935 kamen 400 bis 500 jüdische Ärzte nach Palästina. Die britische Mandatsregierung hatte 1919 Arbeitsgenehmigungen für Ärzte eingeführt, die einen diplomierten Abschluss eines mindestens 5-jährigen Medizinstudiums voraussetzten.1936 gab es knapp 2000 jüdische Ärzte im Land.

Die Arbeitsbedingungen waren für die Neuankömmlinge oft sehr hart und das Einkommen niedrig. Bei weitem nicht alle Ärzte fanden in ihrem Beruf überhaupt eine Anstellung. Bereits 1936 gab es deutlich zu viele Ärzte und mit dem „Anschluss“ Österreichs, in dessen Folge eine weitere Welle Einwanderer ins Land kam, verschlechterte sich die Arbeitsmarktlage zusätzlich. Viele fanden in anderen Bereichen ihr Auskommen, etwa in der Landwirtschaft. Die allermeisten hielten jedoch den Kontakt zur Medizin und den Kollegen und kehrten später in den Beruf zurück. Viele Ärztinnen haben diesen Übergang jedoch nicht verwirklichen können. In Erez Israel kamen viele Medizinerinnen zunächst als Krankenschwestern oder in der Kinderpflege unter. Aus privaten oder wirtschaftlichen Gründen haben viele von ihnen später darauf verzichtet, eine Arbeitsgenehmigung einzuholen.

Im Gegensatz zu den bereits ansässigen Ärzten waren die Jeckes überwiegend Fachärzte in den unterschiedlichen medizinischen Gebieten. Deutsche Mediziner nahmen daher bald Schlüsselpositionen und leitende Stellen in den großen Krankenhäusern und Praxen ein und bildeten die größte ethnische Gruppe unter den Ärzten. Vor dem Hintergrund anhaltender Auseinandersetzungen über eine Modernisierung des Gesundheitssystems gründeten die deutschen Ärzte auch völlig neue Strukturen, wie etwa private Krankenhäuser, allen voran das Assuta Krankenhaus in Tel Aviv. Viele praktizierten zudem unabhängig in eigenständigen Privatpraxen.

Entgegen dem zentralistischen System der Kupat Cholim waren die jeckischen Ärzte gewohnt, dass Patienten sowohl ihren Arzt wie auch die behandelnden Institutionen selbst wählen können. Die Kupat Cholim erlaubte ihren Ärzten nicht, zusätzlich privat zu praktizieren. Die deutschen Mediziner riefen daher eine Alternative zu diesem System ins Leben: die Maccabi Krankenkasse. Die Ärzte der neuen Kasse praktizierten von Zuhause aus oder in ihrer privaten Praxis, so dass die Kasse mit minimalen finanziellen Grundvoraussetzungen operieren konnte. Ende 1941 hatte Maccabi bereits 250 Mitglieder und zehn behandelnde Ärzte, heute hat sie 1,8 Millionen Versicherte.


Das neue Hadassah Universitäts-Zentrum von Architekt Erich Mendelsohn, Innenhof des Krankenhauses, 1930er Jahre

Trotz des enormen Einflusses der aus dem deutschsprachigen Raum stammenden Ärzte auf das Gesundheitswesen ist diese Rolle heute nur wenig bekannt. Grund dafür ist zunächst die Tatsache, dass die Administration weiter in den Händen der früheren, vorwiegend aus Osteuropa stammenden Einwanderer blieb. Mit dem Einsetzen der Masseneinwanderung nach der Staatsgründung 1948 kamen Ärzte aus dem angelsächsischen Raum ins Land. Amerikanische Standards festigten sich einerseits mit der Eröffnung der medizinischen Fakultät Jerusalem 1949, die an das Hadassah Krankenhauses als Ort der medizinischen Ausbildung gebunden war, sowie andererseits durch Postgraduiertenausbildungen, die Studenten nach der Schoa nicht im Land der Nazi-Täter, sondern vorwiegend in den USA absolvierten.

Dieses Projekt stellt neben dem professionellen Einsatz der Jeckes die persönlichen Schicksale in den Mittelpunkt. Die Ärzte ließen alles hinter sich, ihre Vergangenheit, ihre Karrieren, oft ihre Familien, manchmal das ganze Vermögen. Sie kamen in ein Land, das ihnen viel versprach, nämlich eine Zukunft in einem jüdischen Staat, das ihnen aber zunächst nur wenig bieten konnte. Sie nahmen finanzielle und persönliche Entbehrungen auf sich und blieben ihren beruflichen Visionen treu. Ihrem Andenken ist dieses Projekt gewidmet.

Quellen:
Nissim Levy, Prakim be-toldot ha-refua be-Erez-israel, 1799-1948, Tel Aviv 1998 (hebr.).
Doron Niederland, Deutsche Ärzte-Emigration und gesundheitspolitische Entwicklungen in „Eretz Israel“, in: Medizinhistorisches Journal, 20 (1985).
Fritz Noack, Briuth. Gesundheitsratgeber für Palästina, Berlin 1936.
Shifra Shvarts, The workers’ health fund in Eretz Israel. Kupat Holim, 1911-1937, Rochester 2002.

Weitere Informationen zum Thema enthält der im neuen Jahrbuch nurinst 2012 des Nürnberger Instituts für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts erschienene wissenschaftliche Aufsatz „Eure Vorstellungen entsprechen nicht der hiesigen Wirklichkeit“ Der Anteil deutschsprachiger Juden am Aufbau des Gesundheitswesens in Erez Israel. Eine Leseprobe finden Sie hier.