Geb.: 1899 in Stuttgart
Fachgebiet: Kinderheilkunde
Alija: 1935

Siegfried Sänger wurde am 5. November 1899 in Stuttgart als Stammhalter des Fabrikanten Abraham Arthur Sänger und seiner Frau Rosa geboren. „Meine Familie war seit vielen Generationen in Württemberg verwurzelt“, berichtete er. „Mein Vater Arthur Sänger, meine Großeltern und Urgroßeltern lebten in Laupheim. Meine Mutter stammte aus Heilbronn.“ Obwohl es Tradition war, dass ein Familienmitglied, möglichst der Erstgeborene, eine Rabbinerausbildung absolvierte, wollte Siegfried nach dem Abitur am Realgymnasium Medizin studieren. Zunächst wurde er jedoch 1917 gleich zum Kriegsdienst eingezogen. Seine Verwendnung als Soldat endete 1919 und Sänger konnte sich an der Universität in Heidelberg zum Medizinstudium einschreiben. Später wechselte er an die Hochschule in Berlin und schließlich nach München, wo er 1922 seine Staatsexamina ablegte. Die Approbation erhielt der junge Arzt ein Jahr später; 1924 erfolgte die Promotion.

1925 ließ sich Dr. Sänger als Kinderarzt in Stuttgart nieder. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verlor er im Sommer 1933 die Kassenzulassung und musste seine Praxis in die Wohnung verlegen. Aufgrund der Boykottmaßnahmen sah Sänger keine Möglichkeiten mehr, seine Frau und die beiden Kinder zu ernähren. 1935 wanderte die Familie nach Palästina aus.

Die ersten Jahre verdiente der Mediziner sein Geld als Taxifahrer in Tel Aviv und Jerusalem, seine Frau trug als Büglerin und Französischlehrerin maßgeblich zum Lebensunterhalt der Familie bei. Erst 1938 erhielt Dr. Sänger eine Anstellung als Vertretung bei der Kupat Cholim. „Seit 1940 war ich wieder Kinderarzt der Arbeiterkrankenkasse, zeitweise Kinderkrankenhausdirektor in Afula. Ich machte Kinderarztvertretungen im ganzen Land bis zur Libanongrenze, südlich bis Eilat,“ so Siegfried Sänger in seinen Erinnerungen. Ab 1942 wurde der Arzt fest angestellt und arbeitete zeitweise auch im Beilinson Krankenhaus in Petach Tikwa, das ab 1936 Patienten aus allen Siedlungen zwischen Tel Aviv und Netanja aufnahm. Daneben engagierte er sich im Verband der israelischen Kinderärzte, dessen Vorsitz er 20 Jahre lang innehatte, gab Kurse in Krankenpflege und war sozialärztlich tätig.

„Bis 1967 lebte ich in Tel Aviv, nach der Pensionierung in Ramat Gan“, berichtete Sänger. Als Rentner war er jedoch weiterhin in Teilzeit tätig und übernahm bis Anfang der 1980er Jahre „ärztliche Vertretungen im ganzen Land“. Danach beschäftigte er sich nur noch theoretisch mit der Medizin, wovon viele wissenschaftliche Vorträge und Veröffentlichungen zeugen.

Siegfried Sänger war lange Zeit Vorstandsmitglied einer orthodoxen Religionsgemeinde und richtete sein Leben nach den Vorschriften der Thora aus. Der tiefgläubige Arzt verstarb im Januar 1984 im Alter von 84 Jahren in Haifa.

Quellen:
Walter Strauss (Hg.), Lebenszeichen. Juden aus Württemberg nach 1933, Gerlingen 1982.
Susanne Rueß, Stuttgarter jüdische Ärzte währen des Nationalsozialismus, Würzburg 2009.
Eduard Seidler, Jüdische Kinderärzte 1933–1945. Entrechtet. Geflohen. Ermordet, Freiburg 2007.
Nissim Levy/Jael Levy: Rofeiha schel Erez-Israel 1799–1948, Haifa 2008 (hebr.).